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Junge Frau steht unter einer Brücke und schaut nach links aus dem Bild heraus

Coronavirus und Obdachlosigkeit: Schlafstellen bleiben offen, sind aber Endstationen

27.03.2020 Hellweger Anzeiger

Auf der Straße schlafen muss in Lünen während der Corona-Krise niemand. Vereine und Hilfsangebote bleiben geöffnet und versorgt. Zur Zeit ist hier aber Endstation. Wohnungssuche: unmöglich.

Lünen Die Versorgung von Obdachlosen und Wohnungslosen stellt ehrenamtliche Helfer zur Zeit vor große Herausforderungen. Freiwillige Helfer, die häufig in der Risikogruppe sind, bleiben aus Sicherheitsgründen zu Hause, Lebensmittelspenden gehen zurück. In Dortmund hat unter anderem die Stadt selbst aus diesen Gründen auch personelle Unterstützung für Obdachlosenhilfen zugesagt.

Eine Entwicklung, die in Lünen nur bedingt zu beobachten ist. Die Übernachtungsstelle für Wohnungslose Männer in Lünen wird nach einem Beschluss der Stadt am Dienstag (24.3.) bis einschließlich 1. Mai als Wohnheim benutzt. Sprich: Anders als sonst, können die Gäste jetzt ganztägig in der Einrichtung bleiben. Damit folge die Stadt seinem Vorschlag, sagt Ulrich Klink, Vorsitzender des Vereins Dach über dem Kopf, dazu.

Weil der Verein den zusätzlichen Personalaufwand nicht dauerhaft alleine stemmen kann, wird die Stadt zusätzliche Leute zur Verfügung stellen. Übergangsweise stellt der Verein laut Klink zusätzliche Hausmeister aus eigenen Reihen.

Einzelzimmer zahlen sich in Zeiten des Coronavirus aus

Ansonsten gilt für Dach über dem Kopf „business as usual, soweit es geht“, sagt Klink. Die Situation erlaube das in Lünen, denn die Gäste sind in Einzelzimmern untergebracht. Ein großer Vorteil in der aktuellen Corona-Krise. „Früher hieß es immer, dass wir einen verdammt hohen Standard haben. Jetzt zahlt sich das aus“, so Klink weiter.

Mit den Bewohnern habe er mehrere Gespräche geführt. Abstand halten, Hygiene beachten, Ruhe bewahren. Zum zusätzlichen Schutz messen sie jeden Abend Fieber. „Das ist eins der sichersten Anzeichen für eine Coronainfektion.“ Fälle gebe es bisher keine, auch wenn Obdachlose im Prinzip als Risikogruppe gelten. „Bei uns verhalten sich die Leute vorbildlich und sehr kooperativ“, sagt Klink.

Über Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln könne Dach über dem Kopf nicht klagen. „Unsere Hausmeister sind da sehr gut vernetzt“, sagt Klink. Die Firma Stolzenhoff spende regelmäßig. Eine zusätzliche Spende auf Initiative des Hospizvereins, die der Verein am Dienstag (24.3.) erhalten hat, hilft. „Außerdem hat sich eine Bäckerei an der Bebelstraße bereit erklärt, uns dreimal wöchentlich Brötchen zu spenden.“

Normalerweise würde es Frühstück im Aufenthaltsraum der Wohnungslosenberatung der Diakonie geben. Zur Zeit findet es aus Sicherheits- und Organisationsgründen bei Dach über dem Kopf statt. Beratung für Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte gibt es weiter bei der Diakonie. Wenn möglich, nach Absprache und mit wenig persönlichem Kontakt, um der Ansteckungsgefahr entgegenzuwirken.

„Mieterschutz, den wir uns normalerweise wünschen“

Die Belegung der Unterkunft ist während der Corona-Krise bisher konstant geblieben. Auch in der Übernachtungsstelle für Frauen in Unna, die auch für Lünen zuständig ist, ist das so. Drei von sieben Plätzen sind dort zur Zeit belegt. Vordergründig ein gutes Zeichen, denn durch die Regelungen zum Mieterschutz in der Corona-Krise darf niemand auf die Straße gesetzt werden.

„Wir haben im Moment einen Mieterschutz, den wir uns normalerweise wünschen würden“, sagt Birgit Unger, Geschäftsführerin des Frauenforums Unna. Ob es möglicherweise auch andere Gründe gebe, warum sich aktuell so wenige Frauen an das Frauenforum wenden, versuchen die Mitarbeiterinnen gerade herauszufinden.

Beratungsstelle auch in Corona-Krise erreichbar

Die Botschaft an Frauen in Not: „Die Situation und die erforderlichen Maßnahmen während der Corona-Pandemie ändern sich laufend, doch wir sind für Sie da“, heißt es auf der Hompage des Frauenforums. Die Geschäftsstelle an der Hansastraße 38 in Unna bleibt wie gewohnt rund um die Uhr besetzt.

Doch auch hier gilt: Persönliche Termine sollen möglichst vermieden werden. Alles, was per Telefon oder E-Mail geregelt werden kann, sollte auf diesem Weg erledigt werden.

Schwieriger ist die Situation für Frauen im Frauenhaus. Denn das Kontaktverbot isoliert sie noch stärker, als es so schon der Fall ist. „Wir raten den Frauen ja, alle normalen Kontaktkanäle nicht mehr zu benutzen“, sagt Unger.

Die Gefahr, darüber von den Männern verfolgt zu werden, vor denen sie geflohen sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Persönliche Kontakte zu Vertrauenspersonen können die Frauen auch nicht pflegen. Ihre ohnehin stark isolierte Lage wird durch das Kontaktverbot also weiter verschärft.

Übernachtungsstelle wird aktuell zur Endstation

Zusätzlich sind Frauenhaus und Übernachtungsstelle aktuell im Grunde Endstationen. Denn wer einmal hier angelangt ist, bleibt auch da. Die Suche nach einer neuen Wohnung ist, allein mit Blick auf Besichtigungstermine und Treffen mit Vermietern, schlicht unmöglich.

Dafür sollen Amtsangelegenheiten wie Anmeldung beim Jobcenter oder bei der Krankenversicherung während der Corona-Krise einfach gestaltet werden.

Gruppenangebote der Frauen- und Mädchenberatungsstelle, etwa zur Selbstfindung oder -verteidigung, sind, wie alle öffentlichen Veranstaltungen zur Zeit, ausgesetzt.

Vorsichtig bleiben und Ruhe bewahren

Ulrich Klink gibt noch einen Rat, der nicht nur für die Obdachlosen in den Unterkünften gelte: „Vergesst nicht, aufeinander zu achten. Geht sorgfältig mit der Situation um, haltet Abstand, wascht euch häufig die Hände und achtet auf Hygiene. Trinkt nicht aus derselben (Bier)-Flasche. Und Ansonsten: bewahrt Ruhe.“

Von: Matthias Stachelhaus