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Junge Frau steht unter einer Brücke und schaut nach links aus dem Bild heraus

Häusliche Gewalt und Corona: „Da rollt eine Fall-Welle auf uns zu.“

Hellweger Anzeiger 02.04.2021

Häusliche Gewalt und Corona: „Da rollt eine Fall-Welle auf uns zu.“

Raus aus der Gewalt
Corona heißt zwar Durchhalten, aber ganz sicher nicht beim Thema häusliche Gewalt. Das betonen Polizei und das Frauenforum im Kreis Unna ganz deutlich.© AdobeStock_72507724

Die Zahlen aus dem ersten Corona-Jahr sind nicht sonderlich höher als 2019. Beratungsstellen und Polizei befürchten, dass gerade im Lockdown beileibe nicht alle Fälle gemeldet werden.

Schaut man sich die blanken Zahlen an, scheint das zurückliegende Corona-Jahr keine besonderen Auswirkungen auf die Entwicklung der Statistik der Frauen- und Mädchenberatungsstelle gehabt zu haben.

Dass das aber nur der Anschein ist, weiß Birgit Unger. Die Geschäftsführerin des Frauenforums im Kreis Unna erklärt: „Wir haben uns ganz bewusst dazu entschieden, jetzt wieder an die Öffentlichkeit heranzutreten, um einerseits daran zu erinnern, dass es hier gut aufgestellte Hilfen gibt und das Thema auch ganz bewusst in der Zeit des Lockdown wieder in den Fokus rücken muss.“ Über das vergangene Jahr sind in der Frauen- und Mädchenberatungsstelle 452 Beratungsfälle verzeichnet worden, das sind drei Fälle weniger als 2019 und sogar 111 weniger als noch 2018.

Als die Maßnahmen gelockert wurden, suchten mehr Frauen Hilfe

„Die Zeiten der Lockdowns haben sich hier sehr deutlich bemerkbar gemacht. Über den vergangenen Sommer, als die Maßnahmen wieder gelockert wurden, haben wir auch eine starke Zunahme der gemeldeten Fälle festgestellt. Als dann zu Weihnachten die strengen Corona-Beschränkungen kamen, hat das wieder nachgelassen“, berichtet Birgit Unger.

Es hat sich die Theorie entwickelt, dass betroffene Frauen in der Zeit, in der sie das Gefühl haben, wegen Corona sowieso nicht raus zu können, auch weniger Beratung aufsuchen und die Fälle auch bei der Polizei weniger häufig anzeigen. Ganz wichtig sei aber in diesem Zusammenhang, dass deutlich wird, dass man zwar in Corona-Zeiten einiges ertragen müsse, häusliche oder sexualisierte Gewalt gehört da aber auch gar keinen Fall dazu. „Ich glaube, da rollt eine Welle auf uns zu, wenn der aktuelle Lockdown wieder vorüber ist“, befürchtet Unger.

Diese Vermutung teilen auch Ariane Raichle und Frauke Huwald von der Frauen- und Mädchenberatungsstelle. Es sei zur Zeit eben nicht so leicht möglich, sich einer häuslichen Gewaltsituation zu entziehen, etwa schnell bei einer Freundin unterzukommen, oder für ein paar Tage ins Hotel zu ziehen. „Es darf bei den betroffenen Frauen nicht der Eindruck entstehen, dass sie die Situation aushalten müssen, nur weil Corona ist. Dafür sind wir da.“

Auch sollten Betroffene gar nicht selbst die Flucht antreten müssen, dazu gibt es schließlich das Mittel der polizeilichen Wegweisung, bei dem der Partner für zehn Tage die Wohnung nicht betreten darf. Dieses Mittel aus dem Gewaltschutzgesetz wurde 2020 insgesamt 73 Mal angeordnet (2019: 107). Wird die Polizei diesbezüglich tätig, informiert sie die Frauenberatungsstelle darüber und von dort aus können dann gezielt Gesprächs- und Beratungsangebote an die Betroffenen erfolgen. Dass die vermeintliche Ruhe im Corona-Jahr eine trügerische ist, zeigt auch die Zahl der telefonischen Beratungen, die im vergangenen Jahr um die Hälfte gestiegen ist. Ganz deutliche Worte findet auch Michelle Taubert. Die Leiterin des Frauenhauses sagt: „Wenn Sie nicht wissen, wohin – genau dafür sind wir da.“ Betroffene Frauen müssen vor dem Wort „Frauenhaus“ keine Angst haben, im Gegenteil. Es ist ein schöner und behüteter Ort, an dem sie und ihre Kinder zur Ruhe kommen können.

Von Christoph Schmidt