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Junge Frau steht unter einer Brücke und schaut nach links aus dem Bild heraus

Opa verhindert Zwangsheirat: Frauenforum hilft bei arrangierten Ehen

Hellweger Anzeiger 04.09.2021

Unna. Alleine leben – oder mit einem Partner, der den Eltern nicht gefällt: Für diese Frauen aus traditionell religiösen Familien ist das immer noch undenkbar. Steht tatsächlich eine Zwangsheirat an, hilft das Frauenforum.

Teenager sein, die erste Liebe – und womöglich genauso schnell der erste Liebeskummer: in der Pubertät liegen Freud und Leid nah beieinander. Vor allem sollte die Zeit doch aber etwas Unbeschwertes, Leichtes an sich haben. Da fällt es schwer, sich vorzustellen, dass es auch hier im Kreis Unna immer noch junge Frauen gibt, deren Zeit des Erwachsenwerdens abrupt endet – weil ihre Eltern eine Ehe arrangiert haben.

Das Netzwerk „Wegen der Ehre“ machte zuletzt vor den Sommerferien auf das Thema aufmerksam. Denn Urlaubsreisen ins Heimatland wurden in der Vergangenheit häufig genutzt, um Mädchen und junge Frauen zu verheiraten. Das Alter habe sich inzwischen geändert, es sei leicht gestiegen. Und der Kreis der Herkunftsländer, aus denen die jungen Frauen stammen, sei größer geworden; die Zahlen hingegen seien glücklicherweise gesunken. Und dennoch gibt es im Kreis Unna Fälle, um die sich dann unter anderem das Frauenforum kümmert. Die Diplom-Sozialarbeiterin Heike Bagusch erfährt in der Regel über die Schulsozialarbeiterinnen und der Schulsozialarbeiter der Schulen im Kreis von Mädchen, die eine Zwangsehe fürchten.

Zuletzt wurden Fälle über das Hansa-Berufskolleg vermittelt. In allen Fällen hatten die Frauen aktiv über die Schulsozialarbeit um Hilfe gebeten. Und alle drei Fälle ließen sich ganz unterschiedlich lösen.

Zwangsehen klingen wie ein Instrument aus dem Mittelalter. Tatsächlich werden sie seltener. Aber es gibt sie immer noch. Auch im Kreis Unna.
© Foto DPA

Viele wollen den Kontakt zur Familie nicht verlieren

„Die Mädchen verlieren dabei eigentlich immer“, sagt Heike Bagusch. Sie könnten nur zwischen dem größeren und dem kleineren Übel wählen. Denn viele mögen ihre Eltern und wollen den Kontakt zu ihnen eigentlich aufrechterhalten. Obwohl die religiösen Ansichten und kulturellen Prägungen der Familie nicht mehr zur eigenen Lebenswelt passen. Doch blieben die Mädchen in der Familie, sei es zu gefährlich, sich gegen die Eltern und ihre Pläne zu wehren. Werden die Mitarbeiterinnen des Frauenforums in einem entsprechenden Fall zu Rate gezogen, versuchen sie es erst gar nicht, Gespräche mit dem Elternhaus zu führen. „Die Sicherheit der Mädchen steht an erster Stelle.“

Umso mehr freut sich Heike Bagusch, dass einige ihrer Fälle ganz anders ausgingen als zunächst angenommen: Eine Schülerin bemerkte, dass es bald soweit sein wird, weil die Eltern anfingen, Gold zu kaufen und ihr schöne Kleider schenkten. Die junge Frau stand mitten im Leben. Hatte einen Partner, von dem die Familie selbstverständlich nichts wusste, war in Ausbildung. Die Schülerin machte einen ungewöhnlichen Vorschlag: Sie rechnete sich Chancen aus, ihren Opa, zu dem sie einen guten Draht hatte, als Verbündeten zu gewinnen. Und tatsächlich: Als – vielleicht auch altersmildes – Familienoberhaupt sprach der Opa ein Machtwort. „Ich bin selbst zwangsverheiratet worden und war unglücklich in meiner Ehe. Meiner Enkelin passiert das nicht“, habe er gesagt.

Trauerfall in der Familie kam gelegen

In einem anderen Fall verhinderte ein Trauerfall in der Familie die arrangierte Heirat. Im Jahr darauf wurde die Schülerin volljährig und schaffte es aus eigener Kraft, auszuziehen und sich ein selberbestimmtes Leben aufzubauen.

Heike Bagusch kann aber auch von einer Klientin berichten, die tatsächlich in ein Frauenhaus vermittelt werden musste, um die ungewollte Ehe zu verhindern. Und das bedeutete eben auch den Abbruch des Kontaktes zur Familie, den die wenigsten Mädchen eigentlich möchten „Drohende Zwangsverheiratungen sind für unsere Beratungsstelle aber selten“, so Bagusch.

„Die Mädchen verlieren dabei eigentlich immer.“ Heike Bagusch, Diplom-Sozialarbeiterin

 

Von Dagmar Hornung