Logo: Europäische Union / Europäischer Sozialfonds REACT-EU
Junge Frau steht unter einer Brücke und schaut nach links aus dem Bild heraus

Raus aus der Gewalt

WA online 10.03.2021

Auch im Lockdown nicht weniger Fälle – Frauenhaus bietet noch freie Plätze

Bönen/Kreis Unna – Jede dritte Frau in Deutschland ist mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. Betroffen sind übrigens Frauen aller sozialen Schichten. Oft ist das Frauenhaus der letzte Ausweg für die Opfer, damit die Situation nicht völlig eskaliert und in einem Familiendrama endet. In der Coronapandemie ist die Situation nicht besser geworden, im Gegenteil.

In der Coronakrise hochen Familien 24 Stunden zusammen, der Stresspegel steigt, die Gewaltbereitschaft auch, weiß Birgit Unger, Geschäftsführerin des Frauenforums im Kreis Unna, das das Frauenhaus im Kreis unterhält. Die gute Nachricht: Es gibt freie Plätze für Frauen in Not. Die Coronapandemie stellt auch das Frauenforum und das Frauenhaus Kreis Unna vor veränderte Arbeitsbedingungen. „Wir haben eine verzögerte Entwicklung nach dem ersten Lockdown festgestellt“, berichtet Birgit Unger, Geschäftsführerin des Frauenforums Kreis Unna. Auf der Homepage www.frauen-info-netz.de können Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, in einer Übersicht erkennen, in welchem Frauenhaus Plätze frei sind, sodass sie kurzfristig aufgenommen werden können.

Stellten die Angebote des Frauenforums vor: Birgit Unger, Geschäftsführerin Frauenforum Kreis Unna und Kerstin Luttrop, Gleichstellungsbeauftragte von Bönen
© Presch Kira

Corona-Maßnahmen im Frauenhaus

„Im ersten Lockdown war Stille überall, alle Frauenhäuser, auch unser Haus, waren auf Rot gestellt. Das hatte nichts damit zu tun, dass wir voll waren. Wir mussten erst mal sehen, wie organisieren wir das jetzt, wie nehmen wir auf ohne Risiko für die Frauen und unsere Mitarbeiterinnen“, sagt Birgit Unger.

Um für den Fall gerüstet zu sein, dass eine Quarantäne im Haus nötig ist, hätte die Frauenübernachtungsstelle für obdachlose Frauen, die sich ebenfalls im Haus befindet, als abgeschlossene Quarantänewohnung dienen können. Dafür mussten vier Plätze im Frauenhaus und drei in der Frauenübernachtungsstelle freigehalten werden. Im Dachgeschoss wurden notwendige Renovierungsmaßnahmen durchgeführt, die das Frauennetzwerk Bönen mit einer 500-Euro-Spende unterstützt hat. Hier wurde ein Apartment abgetrennt, wo eine Familie zunächst aufgenommen werden kann, bis das Testergebnis vorliegt.

452 Klientinnen im Jahr 2020 erreicht

Wenn ein Ergebnis positiv ist, dann bleibt die Frau mit ihren Kindern hier erst einmal isoliert und wird von den Mitarbeitern mit allem Nötigen versorgt. Ist das Ergebnis negativ, dann kann sie in ein normales Zimmer umziehen. „Glücklicherweise sind wir bis heute coronafrei“, so Unger. Dennoch verzögere das Prozedere das Aufnahmeverfahren, denn zunächst müsse in jedem Fall die Testphase abgewartet werden. „In der Frauen- und Mädchenberatungsstelle haben wir nur noch Telefon- und Onlineberatungen gemacht. Wir haben unsere Erreichbarkeit von zwei auf vier Tage erweitert, weil wir erwarteten, dass jetzt viele Anfragen kommen würden. Aber die Frauen konnten sich oft auch nicht telefonisch melden, wenn er immer zu Hause war im Homeoffice. Nach dem Lockdown sind viele neue Fälle auf uns zugekommen. Da haben wir gemerkt, die Gewalt ist nicht zurückgegangen“, sagt Unger.

Während im ersten Lockdown viel mehr Menschen im Homeoffice blieben, seien es aktuell etwa 30 Prozent, beobachtet Birgit Unger. Das sei eine Chance für Frauen, die in Bedrängnis geraten. Sie können eher telefonisch Kontakt aufnehmen mit der Beratungsstelle und haben eher die Möglichkeit, das Haus zu verlassen, während der Mann an seinem Arbeitsplatz ist.

Insgesamt hat die Beratungsstelle im Coronajahr 2020 genauso viele Frauen erreicht – nämlich 452 – wie im Vorjahr ohne Corona. Da waren es 455 Klientinnen, die Hilfe gesucht haben. Allerdings haben sich die Beratungen am Telefon verdoppelt, persönliche Beratungsgespräche sind dagegen zurückgegangen. Birgit Unger geht davon aus, dass es noch eine hohe Dunkelziffer gibt, weil nicht alle Frauen durchkommen beim Beratungstelefon. Das sei eine Personalfrage. Mehr Beraterinnen würden möglicherweise noch mehr betroffene Frauen erreichen. Wer in Not ist und kurzfristig Hilfe braucht, bekommt sie auch im aktuellen Lockdown, lautet die klare Botschaft von Birgit Unger. „Es gibt immer noch freie Plätze – wenn nicht im Kreis Unna, dann in einem anderen Frauenhaus.“

Betroffenen Frauen eine Zukunftsperspektive geben

Während die Beratungsgespräche eher von deutschen Frauen genützt würden, liege der Anteil der Migrantinnen im Frauenhaus bei etwa 50 Prozent, zieht Unger Bilanz.

Das Frauenhaus kann aber nur eine Übergangslösung sein, um einer untragbaren Familiensituation zu entkommen. Während des Aufenthalts müssen Lösungen für die Zukunft gefunden werden, deshalb beraten die Mitarbeiterinnen die Frauen und zeigen mögliche Perspektiven auf. Dazu gehört auch, eine Wohnung und einen Job zu finden. Hier greift das Second-Stage-Projekt, das vor allem Migrantinnen nach ihrem Aufenthalt im Frauenhaus weiter begleitet in eine gewaltfreie Zukunft.